Erklärung zum Ende der Aktion "Wir für 22"
Die Aktion "Wir für 22" ist am 2. Juni eingestellt worden.
Vor einem halben Jahr, am 3. November 2013, hatte das Projekt mit einer spontanen Aktion begonnen. Nach einem gemeinsamen Gottesdienst von fünf Gemeinden aus dem Frankfurter Nordwesten, in dem wir auf die Situation einer Gruppe von afrikanischen Flüchtlingen aufmerksam gemacht wurden, die unter der Untermain-Brücke schliefen, holten wir die 22 Männer in die Kirche Cantate Domino. Zehn Tage später wurde vom Evangelischen Regionalverband Frankfurt die gerade leer stehende Gutleutkirche als Winterquartier zur Verfügung gestellt. Zusätzlich nahm die Wicherngemeinde in Praunheim zwei weitere Flüchtlinge auf.
Dank der überwältigenden Unterstützung, die wir von zahlreichen Gruppen, Institutionen und Einzelpersonen der Stadtgesellschaft erfahren haben, konnten wir den Flüchtlingsgästen in den vergangenen Monaten weitaus mehr geben, als nur ein Dach über den Kopf: Essen und Trinken, Kleider, Deutschunterricht, Rechtsberatung und psychologische Beratung, ein wöchentliches Taschengeld, regelmäßiges Fußballtraining. Mitwirkung in einer interkulturellen Theaterwerkstatt und vieles Andere mehr. Für vier von ihnen haben wir darüber hinaus erreicht, dass sie aufgrund ihres mitgebrachten Status oder besonderer Hintergründe eine Arbeitserlaubnis und/oder ein Bleiberecht erhalten haben. Drei von ihnen konnten wir auch bereits eine gemeinsame Wohnung des Ev. Regionalverbandes Frankfurt vermitteln, so dass sie sich nun nach und nach eine eigene Perspektive aufbauen können. Wir werden sie dabei weiter begleiten.
Im Blick auf den Rest der Gruppe sind wir mit unseren Ressourcen und Möglichkeiten, die Aktion weiterzuführen, an deutliche Grenzen geraten. Schuld daran sind vor allem die knallharten Regelungen des Europäischen Flüchtlingsrechtes. Diese beinhalten, dass den Betroffenen mit Verweis auf den "sicheren Status", den sie in den ursprünglichen Aufnahmeländern Italien oder in Spanien haben, jeder Anspruch auf eine Arbeitserlaubnis und auf einen dauerhaften Aufenthalt in Deutschland verwehrt wird. Sie bekommen bei uns keinen Zugang zum Arbeitsmarkt. Deshalb sind die meisten der Flüchtlinge, die wir aufgenommen haben, hier zur Perspektivlosigkeit verdammt. Ihre aussichtslose Situation, mit der auch wir als Unterstützerinnen und Unterstützer seit Monaten konfrontiert sind, ist auf Dauer zermürbend. Sie lässt sich nicht endlos aufrecht erhalten.
Einige aus der Flüchtlingsgruppe haben daraus ja auch schon vorher die Konsequenz gezogen und sind in ihrer ursprünglichen Aufnahmeländer zurück gekehrt. Die Chancen, dort Arbeit zu finden, stehen erwiesener Maßen äußerst schlecht - sie versuchen es trotzdem. Dank der eingegangenen Spenden konnten wir den Rückkehrern wenigstens einen Betrag für den Übergang mitgeben. Übrig geblieben sind nun acht Personen, die sich eine Rückkehr in diese Länder wegen der schlechten Erfahrungen, die sie dort gemacht haben, nicht vorstellen können. Für sie wird noch eine Lösung gesucht. Auch wenn sie versuchen, sich weiter hier durchzuschlagen – das Problem bleibt: sie werden hier keine Arbeit finden und keine dauerhafte Lebensperspektive aufbauen können, solange die Gesetze so sind wie sie sind. Darum kann die Konsequenz aus unserer Aktion nur sein, politisch die Freizügigkeit auch für Flüchtlinge und Asylsuchende einzufordern. Hierfür, sowie für die Abschaffung der Dublin II-Gesetze werden wir gemeinsam mit anderen Bündnispartnern weiter kämpfen.
Mit dem Abschluss unserer Aktion halten wir die Wunde offen, die durch die menschenunwürdigen Regelungen des europäischen Flüchtlingsrechtes verursacht wird. Nicht nur unsere Gruppe, sondern zahllose andere Flüchtlinge, Schutzsuchende und Entwurzelte in unserer Stadt und in unserem Land sind durch sie von Abschiebung und/oder Obdachlosigkeit betroffen. Dies ist ein Skandal, der durch das Ende unserer Hilfsaktion einmal mehr in aller Schärfe sichtbar wird und den es noch hörbarer anzuprangern gilt, damit sich hieran etwas ändert! Wir gehen nun dem Ende eines großartigen Projektes entgegen. Wir tun es mit Traurigkeit und Zorn, weil wir aus den genannten Gründen auf unüberwindliche Grenzen gestoßen sind. Wir tun es aber auch mit Dankbarkeit für Vieles, was wir erreicht und an Unterstützung erfahren haben.
Was von unserer Aktion bleiben wird, ist zum Einen das ungelöste Problem einer unmenschlichen Flüchtlingspolitik, das durch die öffentliche Präsenz der "22" ein Gesicht in dieser Stadt bekommen hat. Das Thema wird uns als Kirche und Gesellschaft weiter und zunehmend beschäftigen. Was bleiben wird, ist zum Anderen aber auch die überwältigende Erfahrung, welch große Beachtung und Unterstützung unsere spontane Hilfsaktion in der ganzen Stadt gefunden hat. Hierfür sagen wir noch einmal ein großes Dankeschön an alle, die sich in der zurückliegenden Zeit für die Flüchtlingsgäste in der Gutleutkirche auf so vielfältige Weise engagiert haben. Es war für uns eine überwältigende Erfahrung, die wir und erst recht die von uns begleiteten Flüchtlingsgäste nicht vergessen werden.
Im Namen von "Wir für 22", Pfarrer Ulrich Schaffert